Zu früh.
Wir waren zu früh im Seorak Gebirge, um es in voller Herbstpracht zu
erleben. Über 20 Grad und Sonne - die Bäume strotzten vor
Chlorophyll.
Lohnte es sich, trotzdem nach Seorak zu kommen? Klar! Diese Berge sind
sehenswert, unabhängig von Laubfarben.
Hatten Sie irgendwann mal chinesische Malereien bewundert, mit ihren
traumhaften Landschaften? Koreanische Kunst wurde stark davon
beeinflußt. Mit einem Unterschied, auf den man in Korea mächtig stolz
ist - chinesische Landschaften sind öfters mal erträumt. Koreanische -
naturgetreu abgebildet.
Wir hatten zwei Tage, um uns selbst ein Bild davon zu machen.
An diesem Tag wurde die Route zur Geumganggul gewählt, der Höhle eines
alten Mönchs. Sie führt am Tempel Sinheungsa und der Felswand Biseondae
vorbei.
Bei weitem nicht der schlimmste Montag Morgen, oder?
Abgebildet ist hier übrigens nicht der Pfad selbst, sondern ein
trockenes Flußbett, das ihn kreuzt. In diesem Teil der Route ist der
Weg noch "easy" - da trafen wir sogar mehrere Naturparkbesucherinnen in
Stöckelschuhen.
Offiziell stellt Seoraksan Nationalpark den Naturhungrigen vier
Tagesrouten zur Verfügung: zur Mönchshöhle, auf den Fels Ulsanbawi, zu
den Biryong Wasserfällen und zur Festung Gwongeumseong.
Alle Routen sind hervorragend ausgebaut und markiert. Die
Schwierigkeitsgrade variieren - für jeden Geschmack ist was dabei: von
"easy" (auf der Karte grün gekennzeichnet) über "medium" - gelb, bis
"hard" - rot.
Einen "grünen" Pfad erlebt man als einen lockeren Spaziergang. Bei
einem "Roten" dagegen gelingt einem Büromenschen die Vereinigung mit
der Natur am Besten - man möchte irgendeinen Steinbrocken umarmen und
sich überhaupt nicht mehr bewegen. Nicht aus mystischen Gründen - vor
Anstrengung.
Hier ist der Weg noch grün, nicht nur wegen dem chlorophyllgesättigten
Laub. Man geht an einem leise schnurrenden Bach entlang, hört dabei
Vögel und Zikaden zwitschern und trifft ständig auf
Streifenhörnchen und andere Touristen.
Diese Idylle kann man 3 km lang genießen, bis man die Biseondae Felsen
erreicht. Hier verschlägt es einem den Atem.
Der Name "Biseondae" gebührt einer alten Legende - eine Fee war so sehr
von der Schönheit dieses Ortes beeindruckt, dass sie ihn als Kulisse
für ihren Himmelaufstieg wählte.
Jahrhunderte lang inspirierte diese Felslandschaft auch menschliche
Poeten und Gelehrten. Die besonders gelungenen dieser Gedankenflüge
gravierten die dankbaren Nachfahren in den Biseondaes Granit ein.
Zur Zeit tummeln sich vor allem Kletterer und Touristen hier. Kletterer
sehen wohl ihren direkten Weg in den Himmel in dieser Felswand.
Touristen bestaunen die atemberaubende Schönheit des Ortes und
versuchen, vor dem letzten Abschnitt der Route zu verschnaufen - dem
"roten" Abschnitt.
Sehen Sie die großen Felsbrocken im Flußbett? Ihre Kollegen garantieren
natürliche Touristenauslese auf dem Weg zur Mönchshöhle.
Rucksackbeladene Fotografen erhalten dabei keinen Nachlaß.
Hier trennen sich auch die Wege des kleinen Bachs und der Ausflügler -
der Fluß folgt weiter seinem Tal, der Mensch überwältigt Stock und
Stein bergaufwärts, in seinem Streben nach höhergelegenen Zielen.
600 Meter lang ist der rote Abschnitt bis zur Höhle. Die zweite Hälfte
davon führt am Felsflanken entlang, und ist für alle Nichtkletterer nur
über die ziemlich steilen Treppen zu bewältigen.
Für alle mit Höhenangst hätte ich hier einen Rat. Beladen Sie
sich mit einem schweren Rucksack - man fühlt sich dabei besonders
erdverbunden. Hängen Sie sich eine dicke Kamera oder einen Backstein um
den Hals. Deren Funktion wäre, zusätzlich schwer in der Hand zu liegen,
oder Ihnen beim Treppensteigen liebevoll in die Rippen zu boxen.
Bei all dem Turnen mit Gewichten vergessen Sie nicht die Kunst - halten
Sie gezielt Ausschau nach der schönsten Szenerie und versuchen
Sie, diese zu einem Bild zu gestalten. Bitte sich nicht zu sehr über
den Handlauf hinauslehnen! Sie haben ja eine schwere Kamera um den
Hals. Oder einen Backstein.
Diese Methode hilft! Als Ergebnis kann ich das Bild zum Thema "Berge"
vorweisen, das sich im ersten Teil des Korea Reports befindet.
Aber warum muss man so viele Hindernisse auf dem Weg zu Geumganggul
überwinden?
Der buddhistische Mönch, zu dessen Höhle wir gerade aufstiegen, wollte
Eremitendasein führen. Also wählte er sich eine Wohnstätte, die zur
Erfüllung seinens Wunsches nach Einsamkeit beitrug. Und zwar definitiv
- was ist schon schwerer zugänglich, als ein kleiner Ausbruch mitten in
einer riesigen steilen Felswand?
Insbesondere damals, als Tourismus noch nicht entwickelt war, und die
stählernen Leiter noch nicht angebracht wurden. (Die Wolke? Ja, sie
hing tatsächlich so im Himmel.)
Der Mönch ist längst nicht mehr da und seine Höhle ist in eine heilige
Stätte verwandelt worden.
Eine ältere Frau in grauer Kutte hält die Höhle in Ordnung und
beaufsichtigt die Touristen. Stellen Sie sich ihren täglichen Dienstweg
vor...
Bei unserer Ankunft betete sie am Höhleneingang. Sie begrüßte uns kurz,
erlaubte es, das Heiligtum zu fotografieren, und versank wieder in ihr
Gebet.
Die zweite, heilige Hälfte ist vom Rest der Höhle durch einen erhöhten
Fußboden abgegrenzt. Als ich meinen Rucksack darauf platziert habe, war
das noch grenzwertig. Als ich mich darauf gesetzt habe, war das ein
schlimmer Fehler. Sofort war die Frau zur Stelle und bat mich mit
Gesten, freundlich aber bestimmt, davon wegzukommen. Sorry!
Mian-hamnida!
Wir beide sind nicht buddhistischen Glaubens (sonst würde ich ja solche
peinlichen Fehler nicht machen!), also war unser Aufenthalt in der
Höhle nur kurz. Wir verabschiedeten uns von der Frau und machten uns
auf den Abstieg.
Unten im Tal bot der kleine Bach an, die müden Füße in seinem Wasser zu
erfrischen.
Wiederstehen? Den sanften kühlen Strahlen auf erhitzter Haut? Würden
Sie das schaffen?
Der Weg durch das Bachtal führt auch an vielen kleinen Läden und
Restaurants vorbei. Der gemeine Tourist wird auf dem grünen Teil der
Strecke definitiv nicht verhungern können.
Wir wählten eine Gaststätte mit Ausblick auf die Biseondae Felsen.
Bestellt wurden Kartoffelauflauf mit Tintenfisch und Bärlauch (10.000
Won, für meinen Mann) und Tintenfisch mit Reis in einer scharfen roten
Soße (8.000 Won, some people never learn).
Bilder davon gibt's keine - der Hunger des Reporters war stärker, als
sein Pflichtbewusstsein.
Als eine der Vorspeisen wurden uns gekochte Kastanien angeboten. Sie
sind nicht leicht zu schälen, und man serviert in Korea normalerweise
kein Messer als Besteck. Was tun?
Ein älterer Mann, der sich auf einer Bank in der Nähe ausruhte, hat
unsere Schwierigkeiten bemerkt. Also erhob er sich, holte aus der Küche
ein Messer und schnitt uns eigenhändig alle Kastanien auf.
Habe ich schon erwähnt, ich fühlte mich sehr wohl in Korea? Zum größten
Teil ist das der Freundlichkeit deren Menschen zu verdanken.
Nach dem Essen ging's auf Jagd - man füttert ja die Hunde nicht davor,
die Fotografen schon. Allerdings verbeißen sich die Letzteren
normalerweise nicht in ihre Beute. Nicht einmal, als sie wegzufliegen
versucht - Vögel waren an dem Tag nicht in Stimmung für Fotos.
Streifenhörnchen schon.
Streifenhörhchen sind wahre Freunde eines Naturfotografen. Sie sind
neugierig und erdulden auch unbeholfene Annäherungsversuche. Sie sind
hübsch wie Models und werfen sich gern in Pose. In jeder Pose
verbleiben sie eine Weile, und schauen einem mit großen schwarzen Augen
direkt ins Objektiv. Damit gönnen sie dem Fotografen mehrere Bilder,
und sich selbst eine Nachdenkpause - gleichzeitig zu rennen und zu
denken ist ja unbequem, oder?
Kurz - wenn alle anderen Tiere mal keinen Bock haben, auf
Streifenhörnchen ist Verlass. Man sollte nur aufpassen, dass man sich
mit denen nicht die halbe Festplatte bevölkert.
Dieser kleine Burunduk hatte mit Modeln eigentlich nichts im Sinn. Er
hat ein leckeres Körnchen gefunden und wollte es in Ruhe verspeisen,
die warmen Sonnenstrahlen genießend. Plötzlich lugte erst eine große
Linse, und dann der ganze Paparazzo um die Ecke.
Zu seiner Ehre muss ich sagen, das Tier ließ das Korn nicht fallen! Es
atmete nur tief durch und linste zurück.
Der Burunduk schenkte mir sogar mehrere Sekunden seiner Zeit, obwohl
der Fototermin nicht vereinbart war. Danach pakte er sein Essen in die
Backentasche und suchte sich ein ruhigeres Plätzchen an der Sonne.
Der nächste Fototermin war zwar auch nicht vereinbart, aber anscheinend
erwünscht. Ein großes Krabbeltier saß mitten auf dem Fußgängerweg, die
Aufmerksamkeit eines Fotografen suchend.
Natürlich konnte ich an einem willigen Model nicht vorbei!
Somit schauten die Passanten für eine Weile dem kostenlosen Zirkus zu -
die Gottesanbeterin gab eine tierische Diva. Ich krabbelte herum und
versuchte, sie in bestes Licht zu setzen.
Übrigens, das Licht schwand langsam, und die Jagd musste danach beendet
werden - wir hatten noch eine Route vor uns. Die zu den Biryong
Wasserfällen.
Die ersten 1,5 km dieser Strecke sind "grün", die restlichen 900 m -
"gelb". Der Pfad führt einen anderen kleinen Bach entlang, der die
Felsen auf seinem Weg in mehreren kühnen Sprüngen überwindet.
Biryong bedeutet eigentlich "fliegende Drachen". Nach einem Regen oder
Schneetau könnten sich die Wasserfälle tatsächlich in solche
verwandeln. Nicht aber nach mehreren sonnigen Tagen - wir sahen statt
mächtiger Drachen eine Sammlung kleiner kostbarer Juwelen.
Außerdem wurden wir beim Wandern auf dieser Route zu einer Weinprobe
eingeladen. Auf dem Hinweg haben wir das noch dankend abgelehnt. Auf
dem Rückweg waren wir nicht mehr so standhaft.
Der dunkelrote Beerenwein stellte sich als lecker heraus, und passte
abends im Hotel ganz gut zu den süßen Reisküchlein.
Copyright www.photoambulance.com, all rights reserved.