Der Morgen begrüßte uns mit Frühstücksbüffet, Schwanensee und
Nieselregen.
Machte nichts! An diesem Tag sollten wir unseren Mietwagen abholen und
die Reise gen Süden fortsetzen - nach Andong.
Andong ist eine Stadt in Zentralregion Südkoreas, in etwa so groß wie
Kassel, Saarbrücken oder Rostock. Sie gilt aber als Hauptstadt des
koreanischen Geistes - als Bildungszentrum, Heimat der konfuzianischer
Kultur und auch als ehemaliger Wohnsitz des herrschenden
Gelehrtenadels. Wenn man einen Ort sucht, wo die alten koreanischen
Traditionen noch gelebt werden, sollte man nach diese Stadt.
Wenn man Anfang Oktober nach Korea reist, sollte man sowieso nach
Andong. Da findet nämlich das berümte Andong Maskdance Festival statt.
Beziehungsweise andersrum - dieses Festival ist der Grund, warum man in
Oktober nach Korea reisen muss!
Nach dem Frühstück holten wir uns ein Taxi und fuhren in aller Ruhe den
Berg runter, nach Sokcho. Pünktlich beim Autovermieter angekommen,
guckten wir in die Röhre - der Wagen wurde uns verweigert.
Es hat sich herausgestellt, dass unser grünlich-rosa Kärtchen ein
"EU"-Führerschein ist. Und dieser sollte nicht mit einem
"internationalen" Führerschein verwechselt werden - graues Buchlein, 15
Euro, halbe Stunde in Bürgeramt. Wenn man rechtzeitig daran denkt.
(Schlampig geplant? Oh ja. Zum Glück.)
Der Mitarbeiter des Autovermieters war stets freundlich und geduldig.
Er wählte die spezielle Rufnummer für hilfsbedürftige
ausländische Touristen (1330; kostenlos; in ganz Korea; in Englisch.)
Da wurde uns erklärt, dass unser Führerschein in der Republik Korea
nicht
gültig ist.
Er rief für uns die deutsche Botschaft in Seoul an, wo uns bestätigt
wurde, dass unsere Führerscheine als international nicht gelten. Und
wir somit kein Recht haben, in Korea ein Auto zu steuern. In Japan
übrigens auch nicht. Die Botschaft kann einen internationalen
Führerschein nicht ausstellen, und ein EU-Führerschein in einen
koreanischen umschreiben ist für Non-Residents nicht möglich.
Der Mitarbeiter des Autovermieters hat uns ein Taxi gerufen und
erklärte dem Fahrer, dass wir zum
Sokcho Bus-Terminal gebracht werden mussten. Er erkundigte sich sogar
aus Eigeninitiative, wann der nächste Bus nach Andong fuhr - um 15:20.
Da kann ich nur sagen - gamsa hamnida!
Nun ja, was jetzt? Wenn ein Abenteuer nicht vermieden werden kann -
hoch lebe das Abenteuer!
Wir hatten noch 2,5 Stunden bis zur Abfahrt. Fahrkarten waren schnell
gekauft, und wir setzten uns ins Pissi-Bang.
Was zum Kuckuck ist Pissi-Bang? Es ist eine der wichtigsten
Institutionen moderner Individualreisen - ein Internet-Cafe.
Da wir ohne Auto in unserer Mobilität stark eingeschränkt waren, lohnte
es sich, die nächste Übernachtung übers Netz zu buchen. Am besten ein
Hotel in der Nähe der Andonger Busstation, damit wir die Koffer nicht
so weit schleppen mussten.
Das Pissi-Bang sah von innen, mild gesagt, alternativ aus, und wurde
von alternativ aussehenden Teenagern bevölkert. Hauptbeschäftigung -
brachiale Computerspiele. Dafür kostete eine Stunde Internetzugang
1.500 Won (ca. 1 EUR). Das passende Hotel haben wir gefunden, und sogar
die
hereinbrechende Finanzkrise in den Nachrichten mitverfolgt. Mehr
brauchten
wir eigentlich nicht.
Für den Rest der Reise waren koreanische öffentliche Verkehrsmittel
unser Schicksal. Darüber war allerdings nicht zu klagen - ÖPNV in
Südkorea sind ausgezeichnet ausgebaut und günstig.
Zum Beispiel der Expressbus Sokcho - Wonju - Andong: komfortable
Ledersitze in Business-Class-Stil; 4,5 Stunden Fahrt. Der Preis -
22.200 Won (ca. 15,50 EUR) pro Person.
Der Bus aus Sokcho fährt nicht direkt nach Andong, deswegen wurde nach
Wonju ein Zwischenstopp auf einer Raststätte gemacht. Dass wir
hier umsteigen mussten, war allerdings ein Insider-Wissen, über das wir
nicht verfügten. Also, als die Busfahrer plötzlich unsere Koffer in
eine andere
Maschine verluden, spielten wir mit ihnen einen Einakter:
Ich, auf sich selbst zeigend: "Andong!"
Der erste Fahrer, auf den zweiten Bus zeigend: "Andong!"
Ich, auf den ersten Bus zeigend: "Andong?"
Der zweite Fahrer, auf den zweiten Bus zeigend: "Andong!"
Ich: "Gamsa hamnida."
Alle drei verbeugen sich.
So einfach kann Völkerverständigung erzielt werden. Im kleineren
Rahmen, zumindest.
Pünktlich um 19:45 kamen wir in Andong an. Das Hotel befand sich ein
paar Blocks vom Bus-Terminal entfernt. Mit Hilfe eines
Einheimischen-Konsiliums wurde das auch schnell gefunden. Kein Auto -
keine Parkplatzsuche. Das Abenteuer fing an, Spass zu machen.
Wir waren neugierig auf das Leben der Menschen in Korea, deswegen haben
wir im Hotel ein Zimmer nach koreanischer Art gebucht - Ondol.
Das Wort "Ondol" bedeutet eigentlich "Fußbodenheizung". Ein
traditionelles koreansches Haus beinhaltete eine tiefergelegte Küche,
deren Rauchabzug unter dem Fußboden des Wohnraums führte. Dadurch wurde
der Boden angenehm erwärmt, und deswegen saßen und schliefen die
Menschen
in Korea seit jeher direkt darauf.
Auch in modernen koreanischen Häusern gehört eine Fußbodenheizung zur
Grundausstattung, man schläft ja weiterhin auf dem Boden. In Hotels ist
das allerdings kein Muss - es gibt genug Zimmer mit "normalen" Betten.
Unser Ondol verfügte über alles, was man braucht - Schlafmatte,
Internetzugang, Dusche mit Toilette (nicht im Bild).
Und weil es für die Europäer so lustig aussieht, hier noch mal genauer:
ein Arbeitsplatz am Computer nach koreanischer Art.
Die Packung Taschentücher stellte das Hotel wohl für den Fall bereit,
dass beim Surfer plötzlich
Schnupfen ausbricht. Oder für den Fall, dass er was Aufregendes im
Internet findet...
Im Internet waren wir heute schon, also ging's in die Stadt.
Andong hat viel Interessantes zu bieten und geizt nicht mit
Informationen darüber. Im Touristenzentrum neben dem Hauptbahnhof kann
man sich mit Stadtplänen und Prospekten eindecken, und die
Mitarbeiterinnen da sprechen sehr gutes Englisch.
Das Stadtzentrum Andongs überrascht. Waren Sie mal in Bonner Altstadt?
Stellen Sie sich diese vor. Ersetzen Sie virtuell die deutschen
Gesichter mit den koreanischen. Fertig - Sie haben das Zentrum Andongs
vor Augen.
So ist, zumindest, der erste Eindruck. Einen der Unterschiede sieht man
bei der Nahrungssuche - in Andong existiert eine ganze "Food Street".
Die Stadt hat nicht nur kulturell, sondern auch kulinarisch viel zu
bieten - zum Beispiel wird das Andonger Rindfleisch in ganz Korea
geschätzt. Ausserdem gibt's Makrelen vom Feinsten und das
Hühnchengericht Jjimdak.
Das Letztere gilt als die Speise aus Andong. An sich ist das eine Art
Hähnchengeschnetzeltes. Das besteht außer Hühnchen aus Nudeln,
Kartoffeln und Gemüse, mit viel dunkler Sojasoße zubereitet. Ach ja,
und mit großzügiger Hand gepfeffert. Natürlich, wie denn sonst.
Dieses Gericht wollten wir unbedingt ausprobieren. Also drehten wir
einige Runden über das Stadtzentrum und die "Food Street" und
versuchten, ein passendes Restaurant zu finden. Restaurants, die
Schweinefleisch servieren - an jeder Ecke. Meeresfrüchte - überall.
Rindfleisch findet man auch. Aber Jjimdak?
Das Problem war auch, das ich mir die Schreibweise dieses Wortes in
Hangeul vermerkt, und danach gesucht habe. Es gibt aber mehrere
Varianten dieser Speise. Entsprechend sollte man eine längere
Zeichenkette in den Speisekarten suchen, die das Wort Jjimdak am Ende
hat.
Als mir diese feine Nuance in der Spracherkennung eindämmerte, war das
passende Restaurant schnell gefunden. Das stand mitten in "Food Street"
und hatte ein großes Aushängeschild mit einem Hahn darauf. "Brilliant
deduction, Watson!"
Das Gericht stellte sich tatsächlich als unglaublich fein im Geschmack
heraus. Dazu passte ein weiterer Glanzlicht auf Andonger kulinarischem
Himmel - der leichte kalte Reisschnaps "Soju". Außerdem war die
Restaurantbesitzerin sehr freundlich und zuvorkommend, und die
Vorspeisen erfischend und lecker. Somit verliehen wir diesem Tag die
Einstufung
"Erfolgreich".
Beim anschließenden kleinen Spaziergang hatten wir einen etwas
alternativen Blick auf Andong, verursacht durch Soju-Genuß.
Copyright www.photoambulance.com, all rights reserved.