Da wir bereits um 15 Uhr zurück in Seoul ankamen, war die Abenteuerlust
nicht zu bändigen. Und da wir kaum die Möglichkeit hatten, uns die
reiche Tierwelt der DMZ anzuschauen, war die Entscheidung klar -
Bird-watching! Außerdem sollte der große, hellfarbige, auffällige
Telezoom endlich zum Einsatz kommen. (Wozu sonst schleppte ich das Ding
den ganzen Tag rum?)
[KTG] hat uns verraten, dass die beste Möglichkeit für Bird-watching in
Seoul am Hangang River ist. Die Insel Bamseom beherbergt diverse Enten-
und Raubvogelarten, die man vom Ufer Hangangs beobachten kann. Im
Winter, wenn man aufmerksam liest.
Also fuhren wir bis Yeouinaru Station, stiegen aus dem Subway raus und
sind auf der Stelle fast zugrundegegangen. Eine Garküche nebenan bot
geschmorte Seidenraupen an - für alle Naschkatzen,
die an einer akuten Rhinitis leideten. Oder den Hang zum ausgeprägten
Geruchsmasochismus hatten. Mein empfindliches Näschen meldete dagegen:
"Absolutes No-Go!" und "Laufe, Mensch, laufe!"
So erreichten wir geschwind das Ufer Hangangs. Der Ausblick ließ uns
die Lungen voll frischer Luft holen.
Bei dem Bild ist kein einziges Pixel versetzt worden!
Der große Han (Gang bedeutet Fluß) kurvt in einer W-Form durch die
Hauptstadt. Die Breite dieser mächtigen Seouler Aorta ist 175
Meter im Durchschnitt. Das ermöglicht es, die City vor einem
Verkehrskollaps zu bewahren.
Schauen Sie sich das Bild oben nochmal an - die Brücke, die parallel
zum Ufer im Wasser steht, ist in Wirklichkeit eine Autobahn.
Außerdem bieten Hangangs Flanken genug Raum für 12 "Hangang Riverside
Parks". Wir landeten in einem davon - Yeouido.
Dieser breite grüne Streifen entlang Hangangs wurde von den
Hauptstädtern für aktiven Zeitvertreib benutzt. Jungs und Mädels
spielten begeistert Fußball. Familienväter mit ihren Kids ließen
farbenfrohe Drachen in die Luft steigen. Familienmütter breiteten
allerlei Leckeres auf Picknickdecken aus. Eine Masse Sportbegeisterter
auf Fahrrädern oder Rollschuhen bevölkerte die Parkallee. Ein
Volksensemble verlieh
seinem Auftritt den letzten Schliff, in prächtigen Kostümen und von
dröhnenden Trommeln unterstützt. Verliebte
Pärchen fuhren Modellauto-Rennen gegeneinander oder schlenderten den
Han-Fluß entlang.
Die Frischverliebten - unten, auf dem schmalen Streifen am Wasser, vor
den Augen Anderer versteckt. Paare mit solider Beziehungserfahrung -
oben, auf dem bequemen, breiten Betonweg.
Bequemer, breiter Betonweg hin oder her - die Zeitangaben im [KTG]: 15
Min von der Station zur Brücke - sind wohl an ambitionierten Joggern
gemessen worden. Das Licht schwand langsam, und wäre bei unserer
Ankunft auf der Insel nicht mehr für Vogelfotografie ausreichend. Wir
konsultierten noch mal den [KTG] und fanden endlich heraus, dass es
sowieso nicht die beste Jahreszeit für Bird-watching war. (Schlampig
geplant? Nein! Sie wissen schon - dynamisch und flexibel.)
Wir planten um und widmeten diesen Nachmittag den Seouler
Wasserarterien. Die Hauptschlagader - Hangang in seiner vollen
beeindruckenden
Schönheit - haben wir bereits inspiziert. Als Nächster war der
Cheonggyecheon Fluß an der Reihe.
Die Umgebung des Cheonggyecheon hat eine bewegte Geschichte. Bis in die
60-er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte der Fluß denen, die
sonst wenig in ihrem Leben hatten. In den 60-er und 70-er Jahren
versuchte man, das Problem radikal zu lösen - Cheonggyecheon wurde
zubetoniert und mit Autobahnen überdeckt. In den 80-er und 90-er war
der Fluß dermaßen durch Abgasen verschmutzt, dass er sich in den
Unterbau der Fahrbahnen einfraß.
Im Jahre 2003 holte man den flüssigen
Rebellen aus seinem Betonkarzer und begann die
Wiederbelebungsmaßnahmen.
Seit 2005 trägt Cheonggyecheon wieder frisches, sauberes Wasser zum
Hangang.
Heutzutage laden die Ufer des flinken kleinen Flußes zum Spazieren und
Genießen ein.
Hier sind sie noch kunstvoll in Granit gekleidet, im weiteren Verlauf -
mit Bambus bepflanzt. Im Wasser schwimmen zahlreiche, gesund aussehende
Fische.
Aber die Umgebung des Cheonggyecheon bietet nicht nur frische Luft und
entspannte Atmosphere, sondern auch mehrere Sehenswürdigkeiten. Zum
Beispiel "Banchado", das Bildnis einer königlichen Prozession. Das
Original ist ein illustrierter Bericht über die Reise des Königs
Jeongno zum Grab seiner Eltern. Die Kopie, die sich am Ufer
Cheonggyecheons befindet, stellt alle 1700 königlichen Begleiter und
800 Pferde liebevoll auf weißen Kacheln nachgezeichnet dar.
Grandiose Arbeit - das ist das größte Fliesenwandgemälde der Welt, 192
Meter lang. Beachten Sie dabei den beeindruckenden Detailsreichtum!
Auch kleinere Kunstwerke werden dargeboten - wie hier, einfach unter
einer Brücke.
Das Cheonggyecheon Areal bietet außerdem jede Menge kulinarischer
Genusse und Shopping-Möglichkeiten. Allerdings ließen wir uns dadurch
nicht vom Weg abbringen - uns lockte Insadong.
Insadong, das Künstlerviertel, enttäuschte unsere Erwartungen nicht.
Insadong feierte. Mildes Herbstwetter und langersehntes Wochenende sind
doch Gründe genug, oder?
Aus einem Hinterhof floß grelles Licht auf die Straße. Laute Musik,
Kampfschreie und Ausrufe des mitfiebernden Publikums waren zu hören -
unwiderstehlich.
Mit entschlossenem Ganzkörpereinsatz und illegalen Kampfmethoden
manövrierte ich mich und meine Kamera durch die Zuschauermenge. Nicht
umsonst - eine lokale Taekwondo-Schule veranstaltete Wettkämpfe.
Höhere Schülergrade traten auf. Alle Kampfmethoden legal, die meisten
Techniken bereits sauber - eine Augenweide. Die anderen anwesenden
Kampfschüler
gaben sich cool, die Menschen drumherum
dagegen feuerten die Athleten aus Leibeskräften an.
Schade nur, dass die Show schnell vorbei war. Es war aber nicht das
Einzige, was Insadong an diesem Abend zu bieten hatte.
Aus dem Gebäude um die Ecke waren wieder Kampfschreie und gut
platzierte Treffer zu hören. Noch ein Wettkampf? Ich stieg die Treppe
zur oberen Etage auf. Leider nein, bloß Automaten mit Pratzen und
Boxsäcken. Ein paar davon wurden ordentlich in Beschlag genommen,
ansonsten nichts Spannendes.
Also weiter, dem Menschenfluß folgend.
Der Menschenfluß strotzte übrigens vor Energie, die nicht unbenutzt
bleiben durfte. Also beteiligten zahlreiche Handwerker die Spazierenden
an ihrer Arbeit.
Zum Beispiel bereitete man hier gemeinsam den Teig für süße
Reisküchlein - die beliebteste koreanische Leckerei. Dafür wurde das
Getreide mit Wasser vermischt und mit einem Holzhammer zu Brei
zerdeppert. Am Tresen nebenan wurden die fertigen Süßigkeiten verkauft.
Der nächste Verkaufsstand bot Bambusklopper an. Ja, im Ernst. Man nehme
das Ding in die Hand und haue sich damit beherzt in die verspannte
Schulterpartie. Oder dem Menschen daneben - aus purer Nächstenliebe,
versteht sich. Klapp! Keine Ahnung, ob es hilft, aber populär ist die
Methode auf jeden Fall - überall wurde geklappert.
Außerdem gab's Bilder, Keramik, Lackware, Stickereien, handgeschöpftes
Papier, Kleidung und Schmuck koreanischer Designer in Kleinserie...
Tief durchatmen, für Souvenirjagd ist am Ende der Reise Zeit, tief
durchatmen...
Weiter im Straßenverlauf war wieder Musik zu hören, ein Volksensemble
trat auf. Der Tanz sah eher nach Erntefest aus, das bereits Mitte
September gefeiert wurde.
Aber, wenn das Herbstwetter so mild und das Wochenende so schön und
friedlich ist, warum nicht nochmal tanzen?
Übrigens, eine der schönen Seiten Südkoreas ist - fast überall, wo wir
waren, kann man mit einer dicken Kamera in den Händen durch die Straßen
gehen. Man trifft dabei ständig Gleichgesinnte - entweder gehen sie
selbst unter dem Gewicht ihrer Kamera gebeugt. Oder sie interessieren
sich höflich für Ihre - welches Modell, welches Objektiv, sind Sie
zufrieden? Raubüberfall - eher unwahrscheinlich.
Vor Hunger umzufallen - auch nicht, insbesondere in Insadong. Hier
erleidet man eher die Qual der Wahl.
Nach mehrfachem Hin und Her und einigen Diskussionsrunden einigten wir
uns auf ein Restaurant in einem historischen Gebäude. Das Haus wurde
für die Koreaner des Mittelalters errichtet, somit ist die Höhe seiner
Decken weder für moderne Koreaner, noch für moderne Europäer
ausreichend. Ich erlebte ein Deja-vu - schon wieder gab's akustische
Signale hinter mir, mit dem Kopf gegen die Balken. Diesmal ohne
Schutzhelm und mit klar erkennbarem, zensiertem Brummen.
Das Essen - Tintenfisch - sah lecker aus und schmeckte nach einem
traumatischen Erlebnis.
Stellen Sie sich vor - Sie haben einen Riesenhunger und sitzen vor
einem appetitlich aussehenden Gericht. Und können es kaum essen, weil
es so sauscharf ist!
Aber das war schon unser dritte Tag in Korea, und den Dreh hatten wir
bereits heraus. Erstens, man kann die Schärfe durch viel Reis und
Wasser abmildern. Zweitens, wenn man die Vorspeisen ganz auf isst,
werden
sie nachgefüllt. Und nicht alle davon sind scharf, zum Glück. Die
zweite Methode ist allerdings unhöflich den Restaurantbesitzern
gegenüber und sollte nur als Notlösung angewendet werden.
Nach dem Abendessen konnten wir uns der Müdigkeit nicht mehr
widersetzen. Es war wieder ein langer, erlebnisvoller Tag -
Demilitarisierte Zone, Seouler Flüsse, Insadong bei Nacht.
Wir schleppten uns aus letzter Kraft ins Hotel und schliefen ein, wie
erschossen.
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